Seit gut einem Jahr beherrscht die Corona–Pandemie den beruflichen und privaten Lebensalltag. Viele Betriebe befinden sich weiterhin in Kurzarbeit. Dort, wo Betriebe ganz oder teilweise längerfristig geschlossen werden mussten und Arbeitgeber für Teile der Belegschaft Kurzarbeit Null angeordnet haben, stellte sich bereits in den vergangen Monaten immer wieder die Frage, ob die Arbeitnehmer für solche Zeiten dennoch Urlaubsansprüche erwerben.
Weder das Bundesurlaubsgesetz noch die Regelung zum Kurzarbeitergeld halten eine Antwort auf diese Frage bereit. Auch die Richtlinie 2003/88 EG zu bestimmten Aspekten der Arbeitszeitgestaltung („Mindesturlaubsrichtlinie“) beantwortet diese Frage nicht.
Aufhorchen ließ allerdings eine Entscheidung des EuGH vom 08.11.2012 (Az.: C-229/11). Der EuGH hatte seinerzeit festgestellt, dass eine Reduzierung von Urlaubsansprüchen bei Kurzarbeit Null jedenfalls nicht der europäischen Mindesturlaubsrichtlinie widerspreche. Ob und wie eine derartige Urlaubsreduzierung aber unter der Geltung des Bundesurlaubsgesetzes überhaupt möglich ist, ob diese automatisch erfolgen kann oder vereinbart werden muss war damit immer noch nicht geklärt.
Zum Fall
In einer wegweisenden Entscheidung vom 12.03.2021 hat sich mit dem LAG Düsseldorf soweit ersichtlich nun erstmals ein LAG mit dieser Thematik befasst. Im konkreten Fall befand sich eine Arbeitnehmerin von April bis Dezember 2020 fast durchgehend in Kurzarbeit Null. Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, dass die Mitarbeiterin für diese Zeiten keine Urlaubsansprüche erworben hatte. Die Mitarbeiterin verlangte vollständige Gewährung ihres Jahresurlaubs.
Das LAG Düsseldorf ist in Übereinstimmung mit der erstinstanzlichen Entscheidung des Arbeitsgerichts Essen zu dem Ergebnis gekommen, dass die Arbeitnehmerin für die Kalendermonate, in denen sie wegen Kurzarbeit Null keinerlei Arbeitsleistung erbracht hatte, auch keine Urlaubsansprüche erworben habe. Das LAG begründet dieses Ergebnis damit, dass der Erholungsurlaub bezwecke, sich von der Erbringung der Arbeitsleistung zu erholen. Dies setze zwangsläufig zunächst einmal eine Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung voraus. Wer nicht arbeite, müsse sich auch nicht erholen. (LAG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.20/21 – 6 Sa 824/20).
Bewertung
Das Urteil des LAG Düsseldorf erscheint auf den ersten Blick gewagt, auf den zweiten Blick zeigt sich jedoch eine erfreuliche Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG zum Urlaubsrecht aus den vergangenen Jahren. Während zwischenzeitlich die Auffassung Oberhand zu gewinnen schien, dass Urlaubsansprüche allein schon deshalb entstehen, weil das Arbeitsverhältnis als rechtliche Hülle existiert (so im Zusammenhang mit dem Entstehen von Urlaubsansprüchen bei langzeiterkrankten Arbeitnehmern siehe BAG, Urteil vom 24.03. 2009 – 9 AZR 983/07) hatte sich in letzter Zeit die Erkenntnis durchgesetzt, dass dieser Fall eigentlich die Ausnahme sein müsse und dass im Grundsatz Urlaubsansprüche nur für Zeiten entstehen können, während derer die Arbeitnehmer auch tatsächlich ihre Arbeitsleistung erbringen. So hatte das BAG jüngst unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung festgestellt, dass beispielsweise für Zeiten eines unbezahlten Sonderurlaubs keine Urlaubsansprüche entstehen (BAG vom 19.03.2019 – 9 AZR 315/17). Ebenso hatte das BAG festgestellt, dass für die Freistellungsphase in einer Alterszeit im Blockmodell keine Urlaubsansprüche entstehen (BAG vom 24.9.2019 – 9 AZR 481/18). Die jetzt vorliegende Entscheidung des LAG Düsseldorf würde diese Rechtsprechungen konsequent fortsetzen. Ob das BAG die Sichtweise bestätigt bleibt abzuwarten. Das LAG Düsseldorf hat die Revision ausdrücklich zugelassen.
Folgt man der Sichtweise des LAG Düsseldorf, sind einige begleitende Fragen gleich mitbeantwortet: Es bedarf für eine derartige Kürzung keiner gesetzlichen Regelung und auch keiner ausdrücklichen vertraglichen Absprache. Die anteilsmäßige Reduzierung des Urlaubsanspruchs erfolgt gewissermaßen automatisch, ähnlich wie bei einer teilzeitbedingten Reduzierung der Arbeitstage pro Woche. Der Arbeitgeber muss sich letztlich dem Arbeitnehmer gegenüber nur noch darauf berufen, dass der Urlaubsanspruch in einem geringen Umfang besteht.
Ausblick
Es ist naheliegend, dass diese Entscheidung gerade in Unternehmen, die durch die Auswirkungen der Corona-Krise wirtschaftlich schon schwer angeschlagen sind, mit erheblichem Interesse aufgenommen werden wird.
Umso wichtiger ist allerdings, auf die auch insoweit fehlende Harmonisierung von Urlaubsrecht und Sozialrecht hinzuweisen. Die aktuellen fachlichen Weisungen Kurzarbeitergeld der Bundesagentur für Arbeit vom 20.12.2018 sprechen dieses Thema unter Ziffer 2.7.2, dort Absatz 7 ausdrücklich an. Unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH vom 09.11.2012 wird in der Weisung ausgeführt, dass ungeachtet dessen Ansprüche auf Kurzarbeitergeld weiterhin danach beurteilt werden, welche verwertbaren Urlaubsansprüche zur Vermeidung des Arbeitsausfalls im Sinne von § 96 Abs. 4 SGB III heranzuziehen sind. „Übersetzt“ bedeutet das nichts anderes, als das die Bundesagentur für Arbeit eine arbeitsrechtlich möglicherweise zulässige Kürzung von Urlaubsansprüchen wegen Kurzarbeit Null im Hinblick auf die Leistungsvoraussetzung des Kurzarbeitergeldes unberücksichtigt lassen und den Arbeitgeber stattdessen im Hinblick auf die mögliche Vermeidbarkeit des kurzarbeitsbedingten Arbeitsausfalls so stellen will, als ob die Urlaubsansprüche dennoch bestünden. Zu Ende gedacht würde dies bedeuten, dass der Arbeitgeber arbeitsrechtlich für Zeiten der Kurzarbeit Null den Urlaubsanspruch zwar kürzen könnte, dennoch im Umfang des wirksam gekürzten Urlaubsanspruchs kein Kurzarbeitergeld beziehen könnte, weil insoweit der Arbeitsausfall vermeidbar (nämlich durch Urlaubsgewährung) gewesen wäre.
Bei näherer Betrachtung erscheint diese Weisung rechtswidrig und unhaltbar. Wenn sich der Urlaubsanspruch so wie vom LAG Düsseldorf jetzt angenommen durch die Kurzarbeit Null automatisch anteilsmäßig reduziert, dann existiert kein Urlaubsanspruch, den Arbeitgeber und Arbeitnehmer zur Vermeidung des kurzarbeitsbedingten Arbeitsausfalls einbringen könnten. Es besteht dann konsequent auch keine Rechtsgrundlage dafür, für die Zeiten dieses hypothetischen Urlaubsanspruchs kein Kurzarbeitergeld zu gewähren. Sofern die Bundesagentur für Arbeit nicht kurzfristig aus eigener Erkenntnis auf den Boden der Rechtsordnung zurückkehrt werden Arbeitgeber, die sich ihren Arbeitnehmern gegenüber auf eine kurzarbeitsbedingte Reduzierung von Urlaubsansprüchen berufen, wohl mit der Arbeitsagentur über die Gewährung von Kurzarbeitergeld für eben diese Zeiträume auseinandersetzen müssen.
Wir werden die Situation weiterhin für Sie beobachten.