Laptop mit News Hologramm - Arbeitsrecht für Arbeitgeber

Immer (häufiger) Streit um die Krankheit

Die Rechtsprechung zur Arbeitsunfähigkeit ist in den letzten Jahren durch einige Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts in Bewegung geraten. Arbeitgeber sehen sich dadurch scheinbar zunehmend ermutigt, in solchen Rechtsstreitigkeiten auch Urteile zu erstreiten. Dabei geht es nicht nur um Entgeltfortzahlung, sondern häufig auch um die Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit.
Drei aktuelle Entscheidungen verschiedener Landesarbeitsgerichte verdeutlichen die neue Realität der Rechtsprechung zur AU-Bescheinigung. Es stellen sich immer zwei Fragen: Was erschüttert den (Beweis-)Wert der AU-Bescheinigung? Und, mindestens ebenso wichtig: Wer muss eigentlich was beweisen?

AU-Bescheinigung und Beweiswert – Teil 1
Krankgeschrieben – aber als Handballschiedsrichter auf dem Platz? Wann Arbeitnehmer Entgelt zurückzahlen müssen

Der Fall:

Ein Produktionsleiter erhielt Ende Oktober 2022 von seinem Arbeitgeber eine mündliche Kündigung. Am nächsten Tag meldete er sich arbeitsunfähig krank. Kurz darauf folgte die schriftliche ordentliche Kündigung zum 30.11.2022. Bis zu eben diesem Zeitpunkt war der Arbeitnehmer dann durchgehend arbeitsunfähig krankgeschrieben.
Während dieser Zeit war der Arbeitnehmer jedoch auch als Handballschiedsrichter auf dem Spielfeld tätig. Als die Arbeitgeberin nach Ablauf der Kündigungsfrist davon erfuhr, zweifelte sie die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers an und klagte auf Rückzahlung der bereits geleisteten Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 5.7.2024 – 12 Sa 1266/23) gab der Arbeitgeberin Recht: Der Beweiswert der AU-Bescheinigung war erschüttert, da die Arbeitgeberin nicht nur die sportlichen Aktivitäten des Arbeitnehmers ins Feld führen konnte, sondern auch die passgenaue Krankschreibung bis zum Ende der Kündigungsfrist sowie die Missachtung der Höchstdauer einer Krankschreibung gemäß der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie. Der Arbeitnehmer war daher nach der Entscheidung des Gerichts für die Arbeitsunfähigkeit voll darlegungs- und beweisbelastet. Das Gericht behandelte den Arbeitnehmer also so, als ob es keine AU-Bescheinigung gegeben hätte. Der Arbeitnehmer wiederum hatte aber nichts weiter zu seiner (angeblichen) Erkrankung vorgebracht. Die Entgeltfortzahlung sei daher ohne Rechtsgrund erfolgt und der Arbeitnehmer müsse sie zurückzahlen.
Wird der Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttert (z.B. durch Sport, zweifelhafte Atteste oder passgenaue Krankschreibungen bis zur Kündigungsfrist), muss der Arbeitnehmer konkret und nachvollziehbar darlegen, was ihm gefehlt hat und warum er nicht arbeiten konnte. Gelingt ihm dies – wie im vorliegenden Fall – nicht, muss der Arbeitgeber keine Entgeltfortzahlung leisten bzw. kann bereits gezahlte Entgeltfortzahlung wegen ungerechtfertigter Bereicherung zurückverlangen.

Fazit:

Für Arbeitgeber lohnt es sich, bei auffälligen AU-Bescheinigungen kritisch zu sein. Kann der Beweiswert erschüttert werden, stehen die Chancen gut, keine Entgeltfortzahlung leisten zu müssen oder bereits gezahlte Entgeltfortzahlung zurückzufordern.

AU-Bescheinigung und Beweiswert – Teil 2
Erschütterung des Beweiswerts einer AU-Bescheinigung als Erstbescheinigung

Der Fall:

Der Kläger im vorliegenden Fall legte zunächst eine AU-Bescheinigung für den Zeitraum vom 24.02. bis 31.03.2021 vor. Ausweislich der ergänzend vorgelegten Bescheinigungen des Krankenhauses befand er sich vom 26.02. bis 28.05.2021 (Freitag) in (teil-)stationärer Behandlung. Anschließend legte der Kläger eine neue Erstbescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit mit einem anderen Diagnoseschlüssel für die Zeit ab dem 31.05.2021 vor. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung ab dem 31.05.2021. Der enge zeitliche Zusammenhang der bescheinigten Arbeitsverhinderungen deutete nach Auffassung der Arbeitgeberin auf einen einheitlichen Verhinderungsfall hin. Liegt ein einheitlicher Verhinderungsfall vor, besteht der Anspruch auf Entgeltfortzahlung für sechs Wochen nur einmal für den gesamten Verhinderungsfall.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht Sachsen (Urt. v. 20.09.2024 – 4 Sa 241/22) entschied zu Gunsten des klagenden Arbeitnehmers. Zwar sei der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem 31.5.2021 tatsächlich erschüttert, da zwischen dem Ende der bis zum 28.05.2021 andauernden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und der am 31.05.2021 erneut attestierten Arbeitsverhinderung nur ein arbeitsfreies Wochenende lag. Für berechtigte Zweifel an einer Erstbescheinigung reiche das aus. Der Beweiswert eines ärztlichen Attestes ist also erschüttert, wenn zwischen dem Ende einer ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit und der erstellten Erstbescheinigung einer Neuerkrankung lediglich ein Wochenende liegt.
Es ist deshalb dem Arbeitnehmer auch aufgrund seiner Sachnähe zuzumuten, seine Behauptungen, es lägen voneinander zu trennende Verhinderungsfälle vor, durch konkreten Vortrag zu den Krankheitsursachen sowie zum Ende bzw. Beginn der jeweiligen Arbeitsunfähigkeit zu konkretisieren und hierfür ggf. vollen Beweis zu erbringen. Dies ist dem Kläger vorliegend gelungen. Zum einen belege der vorgelegte Entlassungsbericht des Krankenhauses, dass der Kläger am 28.05.2021 arbeitsfähig aus der Behandlung einer Alkoholabhängigkeit entlassen worden sei. Zum anderen habe der Kläger konkret geschildert, dass er am 30.05.2021 beim Ausräumen eines Kühlschranks einen plötzlichen Schmerz und eine Blockade im Rücken verspürt habe, weshalb er am 31.05.2021 seine Ärztin aufgesucht habe und daraufhin erneut krankgeschrieben worden sei. Die behandelnde Ärztin bestätigte im Rahmen der Zeugenvernehmung, einen leichten Bandscheibenvorfall diagnostiziert zu haben.

Fazit:

Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen einer abgelaufenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und einer neuen Erstbescheinigung kann den Schluss auf einen einheitlichen Verhinderungsfall rechtfertigen und so den Beweiswert einer neuerlichen Erstbescheinigung erschüttern. Der Arbeitnehmer, der (nochmalige) Entgeltfortzahlung verlangt, trägt dann die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war. Dieser Vollbeweis ist dem Kläger im vorliegenden Fall allerdings gelungen.

AU-Bescheinigung und Beweiswert – Teil 3
Karneval trotz Krankschreibung: Wann darf der Arbeitgeber kündigen – und wann nicht?

Der Fall:

Ein langjähriger schwerbehinderter Arbeitnehmer legte für Ende 2022 und Anfang 2023 mehrere AU-Bescheinigungen vor. Für einen der Tage, für die er eine AU-Bescheinigung vorgelegt hatte, tauchte ein Video auf, das ihn in vollem Karnevalskostüm bei einer Veranstaltung seines Karnevalsvereins zeigte. Die Arbeitgeberin warf ihm deshalb vor, die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht zu haben und kündigte ihm fristlos, hilfsweise ordentlich.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht Köln (wo hätte der Fall auch sonst spielen können) hielt die Kündigungen für unwirksam. Die Begründung im Wesentlichen: Die Arbeitgeberin konnte nicht nachweisen, dass die Erkrankung nur vorgetäuscht war, obwohl der Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttert war.
Hier ist ein wichtiger Unterschied zu den Fällen 1 und 2 zu beachten: Zahlt der Arbeitgeber keine Entgeltfortzahlung oder fordert er diese zurück, weil er berechtigte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit hat, trägt der Arbeitnehmer die volle Darlegungs- und Beweislast. Der Arbeitnehmer muss dann genau darlegen, woran er gelitten hat und warum er deshalb arbeitsunfähig war. Die bloße Behauptung reicht nicht mehr aus – es muss konkret und nachvollziehbar dargelegt werden, wie sich die Krankheit auf die Arbeitsfähigkeit ausgewirkt hat. Dies muss z.B. durch Zeugenaussagen des behandelnden Arztes belegt werden. Verbleiben Zweifel, geht dies zu Lasten des Arbeitnehmers.
Anders sieht es aus, wenn der Arbeitgeber wegen einer angeblich vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit kündigen will. Dann muss er den Kündigungsgrund vollständig darlegen und beweisen. Selbst wenn die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung unter bestimmten Umständen (wie hier: Karneval trotz Krankmeldung) in ihrem Beweiswert erschüttert ist, reicht das allein nicht aus. Für den Arbeitnehmer besteht dann nur eine sog. sekundäre Darlegungslast. Der Arbeitnehmer muss dann nur darlegen, was ihm gefehlt hat – was er hier mit einer Atemwegserkrankung und der Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht auch getan hat. Daraufhin lag es wieder an der Arbeitgeberin, das Vortäuschen der Arbeitsunfähigkeit konkret darzulegen und zu beweisen. Dies hat sie jedoch nicht getan, sondern sich auf das Anzweifeln der Angaben des Klägers und seines Arztes beschränkt. Das ist nicht ausreichend.

Fazit:

Ein Video vom Karnevalsauftritt während der (angeblichen) Arbeitsunfähigkeit kann Zweifel begründen und den Beweiswert einer AU-Bescheinigung Weise erschüttern – rechtfertigt aber nicht ohne weiteres eine Kündigung. Die Beweisanforderungen im Kündigungsschutzprozess sind für den Arbeitgeber hoch. Geht es um die Entgeltfortzahlung ist der Arbeitgeber dagegen häufig in einer besseren Position, sobald berechtigte Zweifel an der AU-Bescheinigung vorgetragen werden können. Die Darlegungs- und Beweislast liegt dann beim Arbeitnehmer.

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