Der EuGH hat zwar in den letzten Jahren so einige Entscheidungen in Bezug auf den Urlaubsanspruch getroffen. Für das BAG sind dadurch allerdings noch nicht alle Unklarheiten beseitigt, sodass es nun zwei Vorlagefragen an den EuGH in Bezug auf den Verfall von Urlaub gestellt hat.
Grundsätzlich ist der Urlaub gem. § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG im laufenden Jahr zu gewähren und zu nehmen. Ausnahmsweise ist eine Übertragung bis zum 31.03. des Folgejahres möglich. Bis dahin noch nicht genommener Urlaubsanspruch verfällt.
Ende 2018 entschied der EuGH, dass der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch jedoch nur dann zum Ende des Jahres bzw. des Übertragungszeitraums verfällt, wenn der Arbeitgeber seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist, was letztendlich bedeutet, dass der Arbeitgeber jeden einzelnen Arbeitnehmer rechtzeitig über den Bestand von restlichen Urlaubsansprüchen informieren, zur Inanspruchnahme auffordern und über einen ansonsten drohenden Verfall der Ansprüche aufklären muss (EuGH Urt.v. 06.11.2018 – C-684/16).
Eine andere Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 2011 prägt schon länger die Grundsätze des Urlaubsrechts: Mit dem EU-Recht ist es vereinbar, wenn eine Regelung – in diesem Fall ein Tarifvertrag – vorsieht, dass bei dauerhafter Erkrankung der Urlaubsanspruch 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres erlischt (EuGH Urt.v. 22.01.2012 – C-214/10). Hieraus hat sich in der Rechtsprechungspraxis etabliert, dass Urlaubsansprüche bei Langzeiterkrankung spätestens nach dem Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres untergehen (BAG Urt. v. 07.08.2012 – 9 AZR 353/10).
Nun hatte sich das BAG in einem Verfahren mit der Frage zu beschäftigen, ob der Urlaubsanspruch bei dauerhafter Arbeitsunfähigkeit auch dann mit Ablauf von nach 15 Monaten nach dem Ende des betreffenden Urlaubsjahres erlischt, wenn der Arbeitgeber im betreffenden Urlaubsjahr auf den Verfall nicht hingewiesen hat.
Das zweite Verfahren betraf den Verfall des übertragenen Urlaubsanspruchs eines Arbeitnehmers, der seit dem fraglichen Urlaubsjahr Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht.
In beiden Fällen stellte sich für das BAG die Frage, ob ein Verfall der Urlaubsansprüche ohne einen entsprechenden Hinweis durch den jeweiligen Arbeitgeber in Betracht kommt. Da es inhaltlich um die Anwendung und Auslegung europäischen Rechts geht (genau genommen der „Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung“), hat das BAG eine entsprechende Vorlagefrage an den EuGH gestellt (BAG Urt. v. 07.07.2020 – 9 AZR 245/19 und 9 AZR 401/19). Dieser wird sich in den kommenden Monaten mit der Thematik beschäftigen, sodass wir bald mit neuen Erkenntnissen in Sachen Urlaubsrecht rechnen können.
Uns mag es auf den ersten Blick nicht ganz einleuchten, was dem betroffenen Arbeitnehmer ein Hinweis auf seine bald verfallenden Urlaubsansprüche bringen soll, wenn er krankheitsbedingt oder im Zustand der vollständigen Erwerbsminderung praktisch keine Möglichkeit hat, den Urlaubsanspruch zu realisieren. Trotzdem ist Arbeitgebern zu empfehlen, schematisch und ohne Ansehen der Person und der individuellen Besonderheiten turnusmäßig – insbesondere zur Mitte der zweiten Jahreshälfte – jeden Mitarbeiter individuell auf die noch bestehenden Urlaubsansprüche – einschließlich etwaiger aus früheren Jahren noch bestehender Urlaubsansprüche – hinzuweisen. Vorsorglich sollte dies ab jetzt auch für langfristig erkrankte Mitarbeiter erfolgen und für solche, die während des Bezugs einer Erwerbsunfähigkeitsrente ihrer Tätigkeit nicht nachgehen. Ggf. empfiehlt es sich in diesen Sonderfällen den Text geringfügig anzupassen um zum Ausdruck zu bringen, dass dieser Hinweis vorsorglich erfolgt. Ansonsten wären Irritationen bei den betroffenen Mitarbeitern vorprogrammiert.