Mit Beschluss vom 06. Juni 2018 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschieden, dass die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zur Berücksichtigung von Zuvor-Beschäftigungen bei sachgrundlosen Befristungen die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreitet. Danach gilt fortan (fast) jede Vorbeschäftigung als schädlich für eine sachgrundlose Befristung.
Zum Hintergrund
Gemäß § 14 Abs. 2 TzBfG dürfen Arbeitsverhältnisse für die Dauer von maximal 2 Jahren ohne Sachgrund befristet werden, allerdings nur, wenn mit demselben Arbeitgeber nicht bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.
Über viele Jahre hinweg sah die Rechtsprechung jede noch so lang zurückliegende „Zuvor-Beschäftigung“ als befristungsschädlich an. Hatte bspw. ein Kandidat schon einmal während der Schulzeit in einem Kaufhaus als Ferienaushilfe gearbeitet, so stand diese Zuvor-Beschäftigung einer sachgrundlosen Befristung eines weiteren Anstellungsverhältnisses mit diesem Arbeitgeber auch Jahrzehnte später noch im Weg.
Im Jahr 2011 hat das BAG entschieden, dass eine Zuvor-Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber einer neuerlichen sachgrundlosen Befristung nicht entgegen steht, wenn die fragliche Zuvor-Beschäftigung zum Zeitpunkt der Begründung des neuen befristeten Arbeitsverhältnisses mehr als drei Jahre zurück liegt (BAG vom 06.04.2011 – 7 AZR 716/09). Diese Entscheidung war nur vermeintlich eine hilfreiche Orientierung für die Praxis, war sie doch mit der offensichtlichen Sollbruchstelle versehen, dass sie nicht mit dem eindeutigen Gesetzeswortlaut zu vereinbaren war. Aus diesem Grund war auch nach dieser Entscheidung strikt davon abzuraten, unter Vertrauen auf diese Rechtsprechung nun bewusst sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse mit Kandidaten zu begründen, die Jahre zuvor schon einmal angestellt waren. Diese Rechtsprechung konnte allenfalls als Rettungsmittel herhalten, falls tatsächlich einmal ein Kandidat unerkannt erneut mit einer sachgrundlosen Befristung eingestellt wurde.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Nachdem diese Rechtsprechung des BAG in der Literatur bereits vielfach angegriffen wurde, hat sich nun das BVerfG auf eine Verfassungsbeschwerde und auf den Vorlagebeschluss eines Arbeitsgerichts mit der Frage befasst und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass das BAG die Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung überschritten habe. Zu Recht weist das BVerfG darauf hin, dass die Gerichte bei der (durchaus möglichen) richterlichen Rechtsfortbildung an den klaren Wortlaut der Gesetze und an den klar zum Ausdruck gekommenen Willen des Gesetzgebers gebunden sind. Nachdem sich in § 14 TzBfG eine solche Dreijahresregel nicht ansatzweise niedergeschlagen hat und aus den Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist, dass der Gesetzgeber bewusst auf eine derartige Fristenregelung verzichtet hat, konnte die Rechtsprechung des BAG keinen Bestand haben.
Ausnahmen im Einzelfall
Gleichzeitig hat sich das BVerfG an einer eigenständigen Auslegung von § 14 Abs. 2 TzBfG versucht und festgestellt, dass es des dort vorgesehenen Befristungsverbots dann nicht bedarf, wenn die Gefahr der Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit von Beschäftigten – insbesondere durch Kettenbefristungen – im konkreten Fall nicht bestehe. Dies könne unter Anderem der Fall sein, wenn die fragliche Vorbeschäftigung sehr lange zurückliege, nur von sehr kurzer Dauer gewesen sei, oder gänzlich anders geartet gewesen sei.
Auch diese Ansatzpunkte bilden letztlich keine verlässliche Grundlage um sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnisse mit Kandidaten zu begründen, die zuvor schon einmal bei demselben Arbeitgeber beschäftigt waren. Sollte allerdings tatsächlich einmal – möglicherweise sogar in Unkenntnis der Zuvor-Beschäftigung – ein solcher Kandidat Jahre später sachgrundlos befristet unter Vertrag genommen werden, bietet diese Auslegung des BVerfG zumindest Argumente für den Arbeitgeber, um sich aus der drohenden Unwirksamkeit der Befristung zu befreien.
Was bringt die Zukunft?
Der Beschluss des BVerfG fällt in eine Zeit, in der das Befristungsrecht ohnehin auf der politischen Bühne wieder eine neue Bedeutung erlangt hat. Tatsächlich sieht der Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung vor, für die Zulässigkeit von sachgrundlosen Befristungen eine Karenzzeit von drei Jahren im Gesetz zu kodifizieren. Dem Gesetzgeber wäre eine derartige Regelung nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts wohl unbenommen – das Bundesverfassungsgericht sieht hier einen weiten politischen Einschätzungsspielraum für den Gesetzgeber. Falls die derzeit amtierende Bundesregierung ihre Pläne tatsächlich umsetzen sollte, könnte daher in Zukunft – dann gesetzlich legitimiert – wieder das gelten, was das BAG bereits zu Beginn des Jahrzehnts im Wege der Rechtsfortbildung versucht hat einzuführen.
Aktuelle Empfehlungen für die Praxis
Für die Praxis bedeutet dies, dass (nach wie vor) sachgrundlos befristete Arbeitsverträge nur mit Kandidaten abgeschlossen werden dürfen, die bei demselben Arbeitgeber noch nie zuvor in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt waren. Bestehen Zweifel, sollte vorsichtshalber von einer sachgrundlos befristeten Anstellung abgesehen werden. War der Kandidat zuvor schon einmal beschäftigt, kommt das Arbeitsverhältnis unbefristet zustande. Bemerkt der Arbeitgeber dies erst nach Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit für das Eingreifen des gesetzlichen Kündigungsschutzes, kann er sich nur noch nach Maßgabe des Kündigungsschutzgesetzes von dem betreffenden Mitarbeiter trennen.
Arbeitgeber, die in den vergangenen Jahren unter Vertrauen auf die Rechtsprechung des BAG sachgrundlos befristete Arbeitsverträge mit Kandidaten geschlossen haben, die Jahre zuvor schon einmal angestellt waren müssen damit rechnen, dass die betreffenden Kandidaten gegen das Auslaufen der Befristungen Entfristungsklagen erheben. Auf einen wie auch immer gearteten Vertrauensschutz werden diese Arbeitgeber nicht hoffen können.
Noch ein Hinweis zum Datenschutz
Im Zuge der inzwischen allgegenwärtigen Diskussion zum „neuen“ Datenschutz ist auch die Befassung mit Löschfristen für die unterschiedlichsten Arbeitnehmerdaten ein wichtiges Thema. In einer rechtlichen Umgebung, in der die Wirksamkeit einer sachgrundlosen Befristung davon abhängt, dass der betreffende Kandidat noch nie zuvor in einem Arbeitsverhältnis stand, wird jeder Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse daran haben, die zur Identifikation eines ehemals Beschäftigten notwendigen Daten dauerhaft und über alle sonst üblichen Löschfristen hinaus zu speichern. Dies dürfte mindestens Vor- und Nachnamen, Geburtsdatum und seinerzeitige Anschrift von ehemaligen Mitarbeitern betreffen.
Tatsächlich wird jeder Arbeitgeber gut beraten sein, vor der Begründung neuer sachgrundlos befristeter Arbeitsverhältnisse die Namen der betreffenden Kandidaten mit den gespeicherten Daten aller ehemaligen Mitarbeiter abzugleichen.