Laptop mit News Hologramm - Arbeitsrecht für Arbeitgeber

Bundesarbeitsgericht: Bei der unternehmensübergreifenden Einführung von Office 365 ist der Gesamtbetriebsrat zuständig

Möchten Unternehmen Softwarelösungen einführen, die die Überwachung von Leistung oder Verhalten der Beschäftigten auch nur ermöglichen, sind wegen des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG stets Verhandlungen mit der Betriebsratsseite zu führen. Diese häufig kontrovers geführten Diskussionen beginnen gelegentlich schon bei der Zuständigkeit des Betriebsratsgremiums, wenn von der Maßnahme mehrere Standorte betroffen sein sollen: Nicht selten haben die Betriebsräte vor Ort eine andere Vorstellung als der Gesamtbetriebsrat oder der Konzernbetriebsrat. Für Unternehmen ist es in diesen Fällen essentiell zu wissen, mit welchem Gremium die IT-Betriebsvereinbarung zu schließen ist. Denn bei einem Fehler droht bekanntlich die ersatzlose Nichtigkeit der Betriebsvereinbarung. Das tatsächlich zuständige Gremium kann den Arbeitgeber gerichtlich auf Unterlassung der Softwareeinführung in Anspruch nehmen – ein rechtlicher und praktischer GAU.

Das Bundesarbeitsgericht hat der Praxis mit einer aktuellen Entscheidung einen großen Gefallen getan und hierzu größtenteils Klarheit geschaffen: Werden bei einer Software die Kernelemente der IT-Administration einheitlich und standortübergreifend gehandhabt, ist der Gesamtbetriebsrat – und nicht ein örtlicher Betriebsrat – das zuständige Gremium.

Fall:

Für einen Arbeitgeber aus Nordrhein-Westfalen stand die cloudbasierte Implementierung von Office365 an, wobei er sich für eine unternehmens-, sowie betriebsübergreifende Lösung entschied. Das Unternehmen verwaltete die Software bei Microsoft für alle Betriebe als einheitliches Mandat mit zentraler Administration. Diese sog. „One-Tenant-Lösung“ hatte zur Folge, dass eine Vielzahl von wichtigen Einstellungen für das gesamte Mandat – und somit für alle Betriebe – einheitlich gehandhabt werden mussten. Einzelne Module konnten aber dennoch benutzer- und betriebsbezogen unterschiedlich genutzt und konfiguriert werden. Die Daten aller Standorte wurden zentral in einer einheitlichen Cloud gespeichert. Der Gesamtbetriebsrat hatte der Einführung zugestimmt, wohingegen der örtliche Betriebsrat eines Standorts seine Mitbestimmungsrechte verletzt sah. Er war der Auffassung, der Gesamtbetriebsrat sei unzuständig gewesen und wollte vom Arbeitsgericht feststellen lassen, dass er das zuständige Gremium gewesen wäre. Vor dem Arbeitsgericht sowie dem Landesarbeitsgericht scheiterte der örtliche Betriebsrat (EMPLAWYERS-Newsletter vom 11.01.2022). Nachdem er das Bundesarbeitsgericht angerufen hatte, musste der örtliche Betriebsrat auch in letzter Instanz eine Niederlage hinnehmen (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 08.03.2022, Az.: 1 ABR 20/21).

Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht legte zur Klärung der geschilderten Frage den – bislang bereits bekannten – Maßstab an, dass der Gesamtbetriebsrat nur dann zuständig ist, wenn auch das objektiv-zwingende Erfordernis besteht, diese Angelegenheit unternehmensübergreifend zu regeln. Irrelevant ist dabei der schlichte Wunsch des Arbeitgebers zur Vereinheitlichung, etwa aus Kosten- oder Organisationsgründen. Das Gericht stellte vor diesem Hintergrund fest, dass wegen der gewählten „One-Tenant-Lösung“ objektiv keine andere Möglichkeit besteht, als die Software für das gesamte Unternehmen einheitlich zu verwalten. Es sei unmaßgeblich, dass einzelne Module auch betriebsspezifisch – oder sogar benutzerspezifisch – angepasst werden können. Denn diejenigen Elemente der Software, die wegen der technischen Überwachungsmöglichkeit der Belegschaft das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats auslösen, seien nur zentral zu verwalten. Man könne hier (beispielsweise bei Nutzungsanalysen, Ereignisprotokollen, Verwendungsberichten etc.) nicht für einzelne Personenkreise oder Gruppen unterscheiden, was letztendlich zu einer einheitlichen Zuständigkeit beim Gesamtbetriebsrat führen müsse.
Zu der grundlegenden Frage, ob der Arbeitgeber denn überhaupt die Entscheidung über das „ob“ der Anschaffung einer solchen „One-Tenant-Lösung“ autark ohne Einbindung eines Betriebsrates treffen kann hat sich das BAG nicht geäußert. Offenbar setzt das BAG voraus, dass diese ganz grundlegende Entscheidung mitbestimmungsfrei ist.

Fazit:

Das Bundesarbeitsgericht schafft mit seiner Entscheidung nicht nur Klarheit für Mircosoft Office365, sondern wohl auch für viele andere cloudbasierte Softwarelösungen. Wichtig ist jedoch: Der Gesamtbetriebsrat ist nur dann zuständig, wenn die zentrale Verwaltung innerhalb eines Tenants auch wirklich zwingend ist und sie diejenigen Funktionen umfasst, die das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats maßgeblich auslösen (z.B. Nutzeranalysen, Ereignisprotokolle). Für die Implementierung von cloudbasierter Unternehmenssoftware schafft die Entscheidung erfreulicherweise einen rechtlichen Unsicherheitsfaktor ab und macht aus Praxissicht damit einen Schritt in die richtige Richtung.

Ausgehend von der damit vorliegenden Klärung der Rechtslage ergeben sich für Arbeitgeber nun auch Gestaltungsspielräume: Wer bevorzugt mit dem Gesamtbetriebsrat (oder ggf. einem Konzernbetriebsrat) und nicht mit vielen lokalen Betriebsräten verhandeln möchte tut gut daran, ein Softwarekonzept zu wählen, das zwingend eine zentrale, unternehmenseinheitliche Administration der überwachungsrelevanten Aspekte voraussetzt. Wer hingegen lieber auf lokaler Ebene verhandelt (was sich insbesondere dann anbieten mag, wenn auch betriebsratslose Standorte existieren, für die dann keine Mitbestimmung beachtet werden müsste), wäre besser beraten mit einem technischen Konzept, das eine standortbezogene Administration der überwachungsrelevanten Aspekte ermöglicht. Dabei kann auch entscheidend sein, ob man sich für eine Cloud-Lösung oder eine On-Premise Softwarelösung entscheidet. Bei On-Premise Softwarelösungen wird man die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats mit der hier vorgestellten Argumentation wohl eher nicht annehmen können.

Übergeordnet gilt wie häufig bei § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG: Es ist ratsam, die rechtlichen Auswirkungen der konkreten Konzeption der Softwarelösung bereits bei der Beschaffung zu berücksichtigen. So lassen sich gerade bestimmte betriebsverfassungsrechtliche Auswirkungen bewusst steuern. Werden diese Überlegungen im Beschaffungsprozess nicht angestellt wird diese Steuerungsmöglichkeit verschenkt und es ist letztlich von Zufälligkeiten abhängig, ob die betriebsverfassungsrechtliche Handhabung der Situation dann nach den Vorstellungen des Arbeitgebers gelingen kann oder grandios scheitert. Ein erster wichtiger Schritt in diesem Kontext ist regelmäßig eine frühzeitige Abstimmung zwischen Beschaffung und HR.