Im Falle einer Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit ist der Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz verpflichtet, vorausgesetzt den Arbeitnehmer trifft kein Verschulden. Alkoholismus ist eine Krankheit und daher regelmäßig unverschuldet in diesem Sinne. Allerdings hatte die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nahelegt, im Falle einer zunächst erfolgreichen Therapie und eines späteren Rückfalls in den Alkoholismus die Frage nach dem Verschulden und die damit verbundene Entgeltfortzahlungspflicht durch ein medizinisches Sachverständigengutachten klären zu lassen.
Von dieser Rechtsprechung scheint das Bundesarbeitsgericht abgerückt zu sein. Es hat nun festgestellt, dass im Regelfall den alkoholabhängigen Arbeitnehmer auch dann kein Verschulden träfe, wenn er nach einer Therapie rückfällig wird. (Urteil vom 18. März 2015 – 10 AZR 99/14 – Pressemitteilung 14/15).
Der Entscheidung lag folgender Fall zugrunde: Ein alkoholabhängiger Mitarbeiter erlitt nach einem Sturztrunk eine Alkoholvergiftung (4,9 Promille) und war im Anschluss zwei Monate arbeitsunfähig erkrankt. Auch zwei zuvor erfolgte stationäre Entzugstherapien hatten offensichtlich nicht geholfen. Die gesetzliche Krankenversicherung zahlte für einen Monat 1.303,36 Euro Krankengeld, welches sie vom Unternehmen mit der Begründung zurückverlangte, dass die Arbeitsunfähigkeit unverschuldet gewesen sei, der Arbeitgeber daher Entgeltfortzahlung hätte leisten müssen. Wenn Sozialleistungen erbracht werden, weil der eigentlich zahlungspflichtige Arbeitgeber nicht zahlt, gehen die Gehaltsansprüche per Gesetz auf den Sozialversicherungsträger über.
Da der Arbeitgeber die Zahlung verweigerte, weil er der Auffassung war, die Arbeitsunfähigkeit sei verschuldet und daher kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestehe, klagte die Krankenkasse. Sie erhielt in allen drei Instanzen Recht.
Auch bei einem Rückfall nach einer Therapie sei anzunehmen, dass immer noch eine Krankheit bestehe, so das BAG. Dies bestätigte im konkreten Fall auch ein eingeholtes Sachverständigengutachten wonach wegen der langjährigen und chronischen Alkoholabhängigkeit und des daraus folgenden „Suchtdrucks“ keine selbst verschuldete Arbeitsunfähigkeit gegeben war.
Wird ein Arbeitnehmer infolge seiner Alkoholabhängigkeit arbeitsunfähig krank, kann „nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Erkenntnisse“, so das BAG weiter, nicht von einem Verschulden im Sinne des Entgeltfortzahlungsrechts ausgegangen werden. Die Entstehung der Alkoholsucht ist vielmehr multikausal, wobei sich die unterschiedlichen Ursachen wechselseitig bedingen.
Dies gilt nach Ansicht des BAG „im Grundsatz auch bei einem Rückfall nach einer durchgeführten Therapie“. Allerdings formuliert das BAG hier sogleich eine Einschränkung: Nach einer durchgeführten Rehabilitationsmaßnahme könne angesichts der Abstinenzrate von 40 bis 50 % je nach Studie und Art der Behandlung ein Verschulden des Arbeitnehmers an einem Rückfall auch „nicht generell ausgeschlossen werden“.
Praktisch heißt das, dass regelmäßig auch bei einem Rückfall von einer unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit auszugehen ist. DerArbeitgeber könne aber das fehlende Verschulden bestreiten. Das Arbeitsgericht habe dann ein medizinisches Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob der Arbeitnehmer den Rückfall schuldhaft herbeigeführt hat. Lasse sich dies nicht eindeutig feststellen, weil ein Ursachenbündel hierfür vorliegt, gehe dies zulasten des Arbeitgebers. Konkret wird man aus Arbeitgebersicht also davon ausgehen müssen, dass auch bei rückfälligen alkoholkranken Mitarbeitern ein Streit um die Entgeltfortzahlung nicht lohnt.