Die Richtlinie der Europäischen Union zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige („Work-Life-Balance-Richtlinie“) legt europaweit verbindliche Standards fest, um die Gleichstellung von Männern und Frauen bei ihren Arbeitsmarktchancen und der Behandlung am Arbeitsplatz zu fördern. Die Vorgaben der Richtlinie wären eigentlich schon bis August 2022 von allen europäischen Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen gewesen. Die Bundesregierung hat allerdings erst im Juni 2022 einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, mit dem die in Deutschland bestehenden Vorschriften zu Elternzeit, Elterngeld, Pflegezeit und Familienpflegezeit in Umsetzung der Richtlinie ergänzt werden sollen. Mittlerweile befindet sich der Gesetzentwurf zur Bearbeitung in den Ausschüssen, so dass damit zu rechnen ist, dass ein entsprechendes Gesetz in naher Zukunft in Kraft treten wird.
Konkret sieht der Gesetzentwurf folgende Regelungen vor:
1. Antragsablehnungen auf flexible Arbeitsregelungen in der Elternzeit sind zu begründen
Arbeitgeber, die den Wunsch eines Elternteils, die Arbeitszeit in der Elternzeit zu verringern oder zu verteilen, nicht entsprechen, sollen verpflichtet werden, ihre Entscheidung zu begründen. Hierdurch sollen die Umstände, die zur Ablehnung des Antrages geführt haben, für die betroffenen Eltern transparent werden. Bislang galt eine solche Begründungspflicht nur bei einem Anspruch auf Verringerung und Verteilung der Arbeitszeit gem. § 15 Abs. 7 S. 4 BEEG. Zukünftig soll Arbeitgeber eine solche Begründungspflicht auch im Rahmen der Einigungslösung und unabhängig von der Betriebsgröße treffen. Eine bestimmte Form muss die Begründung nicht wahren.
2. Freistellungsanträge für Pflegezeiten sind fristgerecht zu beantworten
Zukünftig sollen auch Beschäftigte in Kleinbetrieben eine teilweise Freistellung von der Arbeitspflicht für maximal 24 Monate (sog. Familienpflegezeit, § 2 FPfZG), sowie eine Pflegezeit oder sonstige Freistellung für einen Zeitraum von längstens sechs Monaten für jeden pflegebedürftigen nahen Angehörigen (§§ 3, 4 PflegeZG) beantragen können. Bislang war dies nur in Betrieben mit in der Regel mehr als 15 (PflegeZG) bzw. 25 (FPfZG) Beschäftigten möglich. Auf solche Anträge müssen Arbeitgeber dann innerhalb einer Frist von vier Wochen ab Zugang des Antrages antworten. Im Fall einer Ablehnung des Antrages sollen Arbeitgeber ihre Entscheidung begründen. Eine unterbliebene Antwort oder eine nicht sachlich begründete Ablehnung soll jedoch nicht zu einer Fiktion der Zustimmung des Arbeitgebers zur beantragten Freistellung führen.
3. Vorzeitige Beendigungsoption und Kündigungsschutz
Wie bereits bislang Beschäftigte größerer Betriebe sollen zukünftig auch Beschäftigte in Kleinbetrieben, die mit ihrem Arbeitgeber eine Freistellung nach dem Pflegezeitgesetz oder dem Familienpflegezeitgesetz vereinbaren, berechtigt sein, die Freistellung vorzeitig zu beenden, wenn die oder der nahe Angehörige nicht mehr pflegebedürftig oder die häusliche Pflege der oder des nahen Angehörigen unmöglich oder unzumutbar ist. Zudem sollen sie während der Dauer der Freistellung vor Kündigungen geschützt sein.
4. Zuständigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wird erweitert
Die Zuständigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes soll im Hinblick auf Fragen im Zusammenhang mit Diskriminierungen, die unter die Vereinbarkeitsrichtlinie fallen, erweitert werden. Eltern und pflegende Angehörige sollen sich an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden können, wenn sie der Ansicht sind, aufgrund der Inanspruchnahme von Elternzeit, Pflegezeit oder Familienpflegezeit oder des Rechts zum Fernbleiben von der Arbeit im akuten Pflegefall benachteiligt worden zu sein. Gleiches soll gelten, wenn Beschäftigte aus dringenden familiären Gründen, etwa wegen eines Unfalls, von der Arbeit fernbleiben und meinen, deshalb benachteiligt worden zu sein.
Die Auswirkungen der beabsichtigten Neuregelungen sind sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber überschaubar. Insbesondere enthält der Entwurf keine Regelung zur Flexibilisierung des Arbeitsortes, obwohl die zugrunde liegende Richtlinie (befristete) Telearbeit für Eltern von Kindern (bis zum Alter von mindestens acht Jahren) und für pflegende Angehörige ausdrücklich als eine mögliche flexible Arbeitsregelung nennt. Beschäftigte in Deutschland haben also auch weiterhin keinen Rechtsanspruch auf mobiles Arbeiten. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund ergeben sich für Arbeitnehmer aus den geplanten Neuregelungen keine wirklichen Erleichterungen um Beruf und Privatleben besser vereinbaren zu können. Für Arbeitgeber bedeuten die Neuregelungen im Wesentlichen ein Mehr an Bürokratie. Da zukünftig auch Kleinbetriebe, die bisher von den Familienzeit- und Pflegezeitregelungen ausgenommen waren, mit einbezogen werden, sollten diese sich mit den entsprechenden (Neu-)Regelungen vertraut machen und ihre internen HR-Prozesse entsprechend anpassen.