2023 hat gerade begonnen. Oft ist der Jahreswechsel ein künstliches Datum, an dem sich tatsächlich nur wenige Veränderungen vollziehen. In diesem Jahr ist dies anders, da zum Stichtag 1. Januar eine Reihe von Gesetzen in Kraft tritt, die zwar nicht alle zukunftsweisend sind, jedoch erhebliche Umstellungen mit sich bringen werden. Hinzu kommen Vorhaben, deren Umsetzung unmittelbar bevorsteht.
1. Neue Gesetze im Arbeitsrecht
a) Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Zum 1. Januar 2023 ist der gelbe Schein passé – schön wäre es. Die gesetzliche Neuregelung zur elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gilt nur für gesetzlich krankenversicherte Arbeitnehmer, die einen Vertragsarzt im Inland aufsuchen. Es wird also für Arbeitgeber kompliziert, da zwischen verschiedenen Arbeitnehmergruppen und Konstellationen zu unterscheiden ist – auch bei der Vertragsgestaltung.
Das ist aber noch nicht alles: Arbeitgeber müssen sich in einem mitunter komplizierten Verfahren die benötigten Informationen selbst beschaffen. Deutschland geht wieder einmal einen ganz eigenen Weg in der Digitalisierung, die eigentlich Erleichterungen schaffen sollte.
Zu diesem brisanten Thema haben wir ein Video auf unserer Website eingestellt (eine Aufzeichnung einer Informationsveranstaltung), in dem unser Kollege Axel Bertram (fast) alle Fragen beantwortet.
b) Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz
Ebenfalls zum 1.Januar tritt das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz in Kraft. Obgleich keine arbeitsrechtliche Regelung im engeren Sinn, hat das Gesetz unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation vieler Unternehmen. Dabei sind entgegen einiger Berichte nicht nur Großunternehmen betroffen, sondern dank der gesetzlich vorgeschriebenen vertraglichen Weitergabe der Verpflichtungen zur Sicherung der insbesondere arbeitsplatzbezogenen Menschenrechte in der Lieferkette auch alle Zulieferunternehmen, gleich welcher Größe oder geographischer Belegenheit.
Auch zu diesem Thema gibt es auf unserer Website reichlich Informationsmaterial.
c) Gesetz zur weiteren Umsetzung der Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben für Eltern und pflegende Angehörige
Die EU-Richtlinie 2019/1158 verpflichtet Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Mindestvorschriften umzusetzen, um die Gleichstellung von Männern und Frauen hinsichtlich Arbeitsmarktchancen und der Behandlung am Arbeitsplatz zu erreichen. Zum Großteil entspricht das deutsche Recht bereits den Vorgaben der Richtlinie. Mit dem sogenannten „Vereinbarkeitsrichtlinienumsetzungsgesetz“ (VRUG) folgen nun einige Nachbesserungen.
Noch Anfang Dezember 2022 beschloss der Deutsche Bundestag Änderungen im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, im Pflegezeitgesetz und im Familienpflegezeitgesetz sowie im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz. So müssen Arbeitgeber künftig begründen, wenn sie einen Antrag auf flexible Arbeitszeitregelung ablehnen. Freistellungsanträge für Pflegezeiten müssen innerhalb von vier Wochen beantwortet werden, Ablehnungen sind von den Arbeitgebern zu begründen. Außerdem wird die Zuständigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes entsprechend für Eltern und pflegende Angehörige erweitert. (Unser ausführlicher Newletter zum Gesetzentwurf vom 11.11.2022)
Das Gesetz ist zum 1. Januar 2023 in Kraft getreten.
Der in der Richtlinie vorgesehene Vaterschaftsurlaub ist hingegen unter Hinweis auf die damit verbundenen wirtschaftlichen Belastungen kleiner und mittlerer Unternehmen auf 2024 verschoben worden.
d) Elektronische Betriebsprüfung
Ab 2023 findet die Betriebsprüfung der Rentenversicherung (euBP) verpflichtend nur noch elektronisch statt. Dies führt, jedenfalls in der Theorie, zu erheblichen Erleichterungen für Arbeitgeber und kann sogar die gefürchteten Betriebsprüfungen vor Ort entfallen lassen. Betriebe benötigen dafür Programme mit einem sogenannten euBP-Modul, mit dem die Daten elektronisch an die Rentenversicherung übermittelt werden. Allerdings haben Betriebe die Möglichkeit, sich mittels eines entsprechenden Antrags noch längstens bis Ende 2026 befreien zu lassen. Dies macht allerdings nur Sinn, wenn die technischen Voraussetzungen noch nicht erfüllt sind. Nähere Informationen gibt es etwa bei der Deutschen Rentenversicherung.
e) Elektronische Bescheinigungen für die Arbeitsagentur
Auch der Austausch mit der Agentur für Arbeit soll digitaler werden. Einige Bescheinigungen können ab dem 1. Januar 2023 grundsätzlich nur noch digital und nicht mehr in Papierform an die Behörden übermittelt werden. Dazu zählen:
- die Arbeitsbescheinigung
- die EU-Arbeitsbescheinigung
- die Nebeneinkommensbescheinigung
Wie die Bundesagentur für Arbeit mitteilte, gilt diese Pflicht unabhängig von Unternehmensgröße oder der Branche. Arbeitgeber müssen ihre Arbeitnehmer ab kommendem Jahr dabei nicht mehr über die elektronische Übermittlung ihrer Daten informieren. Für zum 31. Dezember 2022 endende Arbeitsverhältnisse oder zu bescheinigende Nebeneinkommen für 2022 können die Bescheinigungen noch in Papier- bzw. maschinenlesbarer Form eingereicht werden. Nähere Informationen erteilt die Bundesagentur für Arbeit.
2. Bevorstehende Gesetzesvorhaben
a) Hinweisgeberschutzgesetz
Noch im Dezember verabschiedete der Deutsche Bundestag die finale Fassung des lange diskutierten (und im Hinblick auf die europarechtlichen Vorgaben überfälligen) Hinweisgeberschutzgesetzes. Dieses wird drei Monate nach der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten, also voraussichtlich im April oder Mai 2023.
Das neue Hinweisgeberschutzgesetz will einen umfassenden Schutz von Whistleblowern u.a. durch folgende Maßnahmen sicherstellen:
Unternehmen und Organisationen ab 50 Beschäftigten müssen sichere interne Hinweisgebersysteme installieren und betreiben. Kleineren Unternehmen zwischen 50 und 249 Beschäftigten wird dafür eine Umsetzungsfrist bis zum 17. Dezember 2023 eingeräumt. Whistleblower müssen die Möglichkeit erhalten, Hinweise mündlich, schriftlich oder auf Wunsch auch persönlich abzugeben.
Wird ein Hinweis abgegeben, muss die interne Meldestelle dies dem Hinweisgeber innerhalb von sieben Tagen bestätigen.
Binnen drei Monaten muss die Meldestelle den Whistleblower über die ergriffenen Maßnahmen informieren, beispielsweise über die Einleitung interner Compliance-Untersuchungen oder die Weiterleitung einer Meldung an eine zuständige Behörde, etwa eine Strafverfolgungsbehörde.
Als zweite, gleichwertige Möglichkeit zur Abgabe von Hinweisen wird beim Bundesamt für Justiz eine externe Meldestelle eingerichtet. Die Bundesländer können darüber hinaus eigene Meldestellen einrichten.
Whistleblower können sich frei entscheiden, ob sie eine Meldung an die interne Meldestelle ihres Unternehmens abgeben oder die externe Meldestelle nutzen möchten.
Auch anonymen Hinweisen muss nachgegangen werden.
Zum Schutz der Whistleblower vor „Repressalien“ enthält das Gesetz eine weitgehende Beweislastumkehr: Wird ein Whistleblower im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit „benachteiligt“, wird vermutet, dass diese Benachteiligung eine Repressalie ist. Zudem kommen Schadensersatzansprüche des Whistleblowers aufgrund von Repressalien in Betracht.
Einige der vorgenannten Maßnahmen wurden erst in letzter Minute in den Gesetzentwurf eingefügt. Unternehmen, die sich bereits vorbereitet haben sollten daher prüfen, ob Anpassungsbedarf besteht.
b) Arbeitszeiterfassung
Nach dem spektakulären Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 13. September 2022 – 1 ABR 22/21 – geht die Diskussion um ein neues Arbeitszeitgesetz in eine neue Runde. Bundesarbeitsminister Heil hat im Dezember 2022 angekündigt, noch im ersten Quartal 2023 einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem u.a. das umstrittene Thema „Arbeitszeiterfassung“ angegangen werden soll.
3. Fazit
2023 verspricht arbeitsrechtlich spannend zu werden. Neue Rechtsmaterien wie Hinweisgeberschutz und Lieferkettensorgfaltspflichten werden in der Praxis umgesetzt werden müssen, neue Entwicklungen z.B. zum Arbeitszeitrecht sind zu beobachten.
Im Bereich der Personalarbeit und des Verkehrs mit Behörden ist ein deutlicher Trend zur Digitalisierung zu beobachten, allerdings führt dies nicht zwingend zu Arbeitserleichterungen. Wie das Beispiel der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anschaulich zeigt, ist der Mehraufwand für Arbeitgeber (hoffentlich nur vorübergehend) nicht unbeträchtlich.