Nach der aktuellen Rechtslage ist eine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats nur in einer „Sitzung“ möglich. Darunter versteht der Gesetzgeber und ganz einhellig auch die dazu ergangene Rechtsprechung und Literatur eine tatsächliche, physische Zusammenkunft der Betriebsratsmitglieder. Dies ist in der aktuellen Situation, in der viele Unternehmen die Arbeit weitgehend im Home Office durchführen lassen unter Umständen schwierig. Arbeitsminister Heil ließ verlauten: Wir sind daher der Meinung, dass in der aktuellen Lage (…) auch die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- oder Telefonkonferenz (…) zulässig ist“ und Beschlüsse aus solchen Sitzungen wirksam seien. Können und sollten sich Arbeitgeber auf die Meinung des Ministers verlassen?
1. Regel ohne Ausnahme
Grundsätzlich muss für einen wirksamen Beschluss der Betriebsrat in einer Sitzung zusammenkommen. Das bedeutet zwar nicht, dass das gesamte Gremium vollständig erscheinen muss. Es reicht für die Beschlussfähigkeit des Betriebsrats aus, wenn mindestens die Hälfte der Betriebsratsmitglieder an der Beschlussfassung teilnimmt. Aber das Gesetz kennt nur die Sitzung in physischer Form – auch, wenn dies nicht mehr unbedingt zeitgemäß erscheint. Alle anderen denkbaren Formen von Sitzungen, z.B. Videokonferenzen, Telefonkonferenz oder Beschlussfassungen im E-Mail-Umlaufverfahren etc. sind vom Betriebsverfassungsgesetz nicht vorgesehen und ermöglichen daher nach allgemeiner Meinung auch keinen rechtmäßigen Beschluss des Betriebsrats. Das Gesetz kennt keine Ausnahme für Not- oder Krisenfälle. Daran ändert auch die abweichende Rechtsmeinung des BMAS nichts. Auch wenn es wünschenswert wäre, dass der Gesetzgeber den Einsatz moderner Konferenztechnik und digitaler Instrumente auch in der Betriebsverfassung zulässt, so ist bis zu einer Gesetzesänderung von der beschriebenen Rechtslage auszugehen.
2. Risiken für den Arbeitgeber
Grundsätzlich ist das Vertrauen des Arbeitgebers in eine ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats geschützt. Der Arbeitgeber ist weder in der Position, dem Betriebsrat im Hinblick auf dessen Amtsausübung irgendwelche Vorgaben zu machen noch hat er typischer Weise Kenntnis über die Abläufe innerhalb des Betriebsrats. Regelmäßig braucht sich der Arbeitgeber daher über die Form der Beschlussfassung im Betriebsrat keine Gedanken zu machen.
Wenn der Arbeitgeber aber positiv weiß, dass der Betriebsrat keinen ordnungsgemäßen Beschluss gefasst hat, ist dies jedoch anders zu beurteilen. Nach der Rechtsprechung ist es etwa anerkannt, dass der Arbeitgeber nicht auf die ordnungsgemäße Beschlussfassung vertrauen darf, wenn er positive Kenntnis davon hat, dass die Entscheidung des Betriebsrats überhaupt nicht im Rahmen einer ordnungsgemäßen Betriebsratssitzung erfolgt sein kann. Etwa in Fällen, in denen der Betriebsratsvorsitzende unmittelbar nach der Anfrage des Arbeitgebers die Entscheidung mitteilt. Das dürfte auch der Fall sein, wenn der Betriebsrat entgegen der gesetzlichen Regelungen Beschlüsse in Videokonferenzen fasst und der Arbeitgeber hiervon weiß. In derartigen Situationen wird das Vertrauen des Arbeitgebers nicht mehr geschützt.
3. Abweichende Gestaltung durch Regelungsabrede?
Zwar wäre es denkbar, dass Arbeitgeber und Betriebsrat sich darauf verständigen, die per Videokonferenz gefassten Beschlüsse nicht in Zweifel zu ziehen. Solche Regelungsabreden werden aktuell von vielen Betriebsräten eingefordert. Eine solche Regelungsabrede hilft aber nicht in all jenen Fällen, und wäre aus den genannten Gründen sogar schädlich, in denen eine wirksame Beschlussfassung des Betriebsrats auch für den Arbeitgeber gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer entscheidend ist, wie beispielsweise beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen, die Vorschriften zu Lasten der Mitarbeiter enthalten (ganz konkret aktuell z.B. die Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit und Betriebsvereinbarungen über Änderungen der betrieblichen Arbeitszeiten). In diesen Fällen muss der Arbeitgeber im eigenen Interesse auf einer „echten“ Betriebsratssitzung bestehen. Jedenfalls aber sollte er von einer abweichenden Praxis des Betriebsrats keine Kenntnis haben. Anderenfalls könnte es zu einem bösen Erwachen kommen, wenn Arbeitnehmer – möglicherweise erst Wochen oder Monate später- die Betriebsvereinbarung nicht gegen sich gelten lassen wollen oder aber – mit Blick auf eine Betriebsvereinbarung zur Einführung von Kurzarbeit – die Arbeitsagentur die Zahlung des Kurzarbeitergeldes verweigert, da es an einer ordnungsgemäß zustande gekommenen Rechtsgrundlage für die Einführung der Kurzarbeit fehlt.
4. Empfehlung
Wir raten daher dringend davon ab, Regelungsabreden mit Betriebsräten zu treffen, die eine Beschlussfassung außerhalb von Präsenzsitzungen vorsehen.
Informationsaustausch zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, Beratungen innerhalb des Gremiums und mit dem Arbeitgeber und auch Verhandlungen zwischen den Betriebsparteien können selbstverständlich per Video- oder Telefonkonferenz erfolgen. Es spricht sicher nichts dagegen, Betriebsräte mit der nötigen Ausstattung zu versehen und Regeln für das weitere Vorgehen zu vereinbaren. Was die Beschlussfassung des Betriebsrats – jedenfalls zu den genannten Themen – anbelangt sollte eine solche Abrede dann aber ausdrücklich hervorheben, dass sich der Betriebsrat verpflichtet, Präsenzsitzungen zur Beschlussfassung durchzuführen. Sonst wird die Regelungsabrede selbst der beste Beleg für Arbeitnehmer und Dritte dafür, dass es wohl an einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung fehlt. Außerdem sollten die Sitzungen natürlich unter strikter Einhaltung aller denkbaren Vorsichtsmaßnahmen erfolgen.