Laptop mit News Hologramm - Arbeitsrecht für Arbeitgeber

Bundesarbeitsgericht bestätigt autonomen EU-Arbeitnehmerbegriff auch im Urlaubsrecht (BAG 9 AZR 44/22 vom 25.07.2023)

Die Einordnung von Fremdgeschäftsführern im Hinblick auf arbeitsrechtliche Schutzvorschriften war jüngst wieder einmal Gegenstand einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 25.07.2023. Maßgebend für die Entscheidung war die Frage, ob es sich bei der Geschäftsführerin, die Urlaubsabgeltung nach § 7 Absatz 4 Bundesurlaubsgesetz verlangte, um eine Arbeitnehmerin handelte. Hintergrund ist die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs zum sogenannten europäischen Arbeitnehmerbegriff.

Seit der Rechtssache Danosa lässt der EuGH für Leitungsorgane neben einer Feststellung tatsächlicher Weisungsabhängigkeit auch (faktische) Weisungsbindung – resultierend aus jederzeitiger Abberufbarkeit – ausreichen (EuGH 11.11.2010, NZA 2011, 143, 1. Ls.; 9.7.2015, NZA 2015, 861 – Balkaya). Nach Auffassung des EuGH genügt ein irgendwie geartetes Unterordnungsverhältnis zur Annahme der Arbeitnehmereigenschaft. Dieser Aspekt wird durch den EuGH dann als Leitmaxime genutzt, wenn es um die Anwendung von Richtlinien geht, die einen Sozialschutz beinhalten. Das Vorliegen eines Unterordnungsverhältnisses ist dabei in jedem Einzelfall anhand aller Gesichtspunkte und aller Umstände, die die Beziehungen zwischen den Beteiligten kennzeichnen, zu prüfen (EuGH 9.7.2015, NZA 2015, 861 Rn. 37 – Balkaya; abgelehnt beim Gesellschafter-GF: EuGH 18.10.2007, DStR 2007, 1958 Rn. 31 – van der Steen).

Das Bundesarbeitsgericht kam in seiner Entscheidung zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Geschäftsführerin um eine „europäische“ Arbeitnehmerin handelte und sprach ihr deshalb auch die Urlaubsabgeltung zu. Es argumentierte wie folgt:

„Durch das Bundesurlaubsgesetz werden die Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG umgesetzt. …
Der Arbeitnehmerbegriff im Rahmen der Richtlinie 2003/88/EG ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Als „Arbeitnehmer“ ist jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH 26. März 2015 – C-316/13 – [Fenoll] Rn. 27 mwN). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist es nicht ausgeschlossen, dass das Mitglied eines Leitungsorgans einer Kapitalgesellschaft „Arbeitnehmer“ iSd. Unionsrechts ist, selbst wenn der Grad der Abhängigkeit oder Unterordnung eines Geschäftsführers bei der Ausübung seiner Aufgaben geringer ist als der eines Arbeitnehmers im Sinne der üblichen Definition des deutschen Rechts (vgl. EuGH 9. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 38; 11. November 2010 – C-232/09 – [Danosa] Rn. 47). Die Eigenschaft als „Arbeitnehmer“ iSd. Unionsrechts hängt von den Bedingungen ab, unter denen das Mitglied des Leitungsorgans bestellt wurde, der Art der ihm übertragenen Aufgaben, dem Rahmen, in dem diese Aufgaben ausgeführt werden, dem Umfang der Befugnisse des Mitglieds und der Kontrolle, der es innerhalb der Gesellschaft unterliegt, sowie der Umstände, unter denen es abberufen werden kann (vgl. EuGH 9. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 38; 11. November 2010 – C-232/09 – [Danosa] Rn. 47; BAG 17. Januar 2017 – 9 AZR 76/16 – Rn. 24, BAGE 158, 6). In die Gesamtwürdigung der Umstände ist einzubeziehen, in welchem Umfang der geschäftsführende Gesellschafter über seine Anteile an der Willensbildung der Gesellschaft wahrnimmt (vgl. EuGH 9. Juli 2015 – C-229/14 – [Balkaya] Rn. 40).“

Zwar gab es in dem entschiedenen Fall einige Anhaltspunkte dafür, dass die Geschäftsführerin ohnehin wenig Entscheidungsspielraum hatte, auch das BAG stellt dann aber darauf ab, dass sie vor allem keinen Einfluss auf die Entscheidungsbildung hatte und jederzeit abberufen werden konnte.

Die Entscheidung führt gerade im Hinblick auf die neuere Rechtsprechung zu Hinweispflichten des Arbeitgebers zum Urlaubsverfall zu interessanten Folgefragen (Gilt auch hier die Hinweispflicht und wer muss ggfls. hinweisen?).

Noch spannender sind die Auswirkungen dieser Rechtsprechung auf andere im Europarecht angelegte Arbeitnehmerschutzrechte. Zu denken ist etwa an das Arbeitszeitrecht, das Nachweisgesetz, die Entgelttransparenzrichtlinie und den Hinweisgeberschutz.