Ein Arbeitnehmer ist in Gleitzeit beschäftigt. Mobile Arbeit oder Home Office ist nicht vorgesehen. In einer Betriebsvereinbarung ist festgelegt, dass die Mitarbeiter für die korrekte Erfassung ihrer Arbeitszeit verantwortlich sind. Für die Zeiterfassung gibt es zwei Möglichkeiten: Stempeln an einem Terminal im Betrieb oder via online-Tool.
Der Mitarbeiter meldet sich morgens um 6.24 Uhr online an, wird aber von seinem Vorgesetzten erst um 8.09 Uhr an seinem Arbeitsplatz im Büro angetroffen. An den folgenden Tagen erscheint der Mitarbeiter jeweils nach 7.25 Uhr im Büro, hat sich aber bereits um 6.35 Uhr online angemeldet.
Der Arbeitgeber schöpft Verdacht und befragt den Arbeitnehmer zu dem Vorgang. Im Rahmen der Anhörung hat der Mitarbeiter keine plausible Erklärung. Um arbeitsrechtliche Konsequenzen zu vermeiden, bietet er aber an, künftig zu festen Zeiten zu arbeiten, um Verdachtsmomente gar nicht erst aufkommen zu lassen.
Der Arbeitgeber spricht eine Verdachtskündigung aus. Zu Recht?
Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Rostock (Urteil vom 28.03.2023, 5 Sa 128/22) hat die Kündigung bestätigt. Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen die ihm übertragene Pflicht, seine Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, kann einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen. Dies gilt unabhängig davon, wie die Aufzeichnung der Arbeitszeit erfolgt. Gerade bei einem Gleitzeitmodel müsse, so das LAG Rostock, der Arbeitgeber auf die korrekte Dokumentation der Arbeitszeit vertrauen können. Eine Abmahnung als milderes Mittel braucht es ist hier nicht, da für den Arbeitnehmer klar sei, dass eine solche Pflichtverletzung auch bei einem erstmaligen Verstoß durch den Arbeitgeber nicht hingenommen werden wird. Auch die Bereitschaft, in Zukunft nicht mehr in Gleitzeit zu arbeiten, hilft dem Arbeitnehmer nicht.
Das LAG Rostock folgt in seiner Entscheidung den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zur Verdachtskündigung und zum Arbeitszeitbetrug.
Einordnung
Die Entscheidung ist vor allem im Hinblick auf die künftige Pflicht zur vollständigen Zeiterfassung interessant. Das BAG hat in seinem Beschluss vom 13.09.2022 festgestellt, dass alle Arbeitgeber aus Gründen des Arbeitsschutzes die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer vollständig erfassen müssen. Zur Umsetzung dieser Rechtsprechung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im April diesen Jahres einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem die Pflicht zu einer umfassenden elektronischen Arbeitszeiterfassung vorgesehen ist.
In der Kombination von Aufzeichnungspflicht und der weiten Verbreitung mobiler Arbeit und Vertrauensarbeitszeit dürften Fälle vermeintlich oder tatsächlich falscher Arbeitszeiterfassung künftig häufiger vorkommen, sei es aus Nachlässigkeit oder mit böser Absicht.
Zwar wird es in der Praxis, anders als im vorliegenden Fall, für den Arbeitgeber oft Beweisschwierigkeiten geben, wenn ein Verdacht falscher Arbeitszeitaufzeichnung im Raum steht. Die vorliegende Entscheidung zeigt jedoch, dass die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung auch für Arbeitnehmende mit Risiken verbunden sein kann.
Spannend wird folgende Frage sein: Die beschriebene strenge Rechtsprechung zum Arbeitszeitbetrug stützt sich auf den Grundgedanken, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber einen Vermögenschaden zufügt, da dieser für tatsächlich nicht erbrachte Arbeitszeit bezahlt. Die gesetzliche Verpflichtung zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten folgt aber aus dem Arbeitsschutzrecht und dient damit ausschließlich dem Interesse der Arbeitnehmer. Ob Verstöße gegen die Aufzeichnungspflicht in diesem Kontext als ebenso schwerwiegend betrachtet werden, bleibt abzuwarten. Die Unterscheidung kann vor allem dort relevant werden, wo die aufgezeichnete Arbeitszeit nicht unmittelbar mit der Berechnung der Vergütung oder mit Arbeitszeitkonten verknüpft ist, insbesondere also im Rahmen der Vertrauensarbeitszeit.
Empfehlung
Jedenfalls sollte Arbeitnehmern klar sein, dass eine nachlässige oder gar bewusst falsche Arbeitszeiterfassung eine schwerwiegende Vertragsverletzung und kein Kavaliersdelikt ist.
Arbeitgebern kann vor diesem Hintergrund nur empfohlen werden, die entsprechenden Verpflichtungen zur Erfassung der Arbeitszeit für die Arbeitnehmer klar zu fixieren und zu kommunizieren und auch konsequent nachzuhalten, gegebenenfalls bis hin zur Kündigung.