Der anhaltende Konflikt zwischen Russland und der Ukraine beherrscht die Schlagzeilen und die öffentliche Diskussion in Deutschland. Die wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahmen und die russische Reaktion hierauf haben erhebliche Auswirkungen auf viele Unternehmen. Darüber hinaus ziehen sich viele Unternehmen derzeit freiwillig aus dem Russlandgeschäft zurück.
Die Situation wirft eine Vielzahl zum Teil neuer Rechtsfragen auf. Davon bleibt auch das Arbeitsrecht nicht verschont. Die komplexen und in der Praxis nicht einfach zu lösenden Probleme betreffen gleichsam nach Russland entsandte Arbeitnehmer, dort beschäftigte Lokalkräfte und nicht zuletzt auch in Deutschland im Russland-Geschäft tätige Arbeitnehmer.
I. Entsendungen nach Russland
Im Falle von Entsendungen nach Russland gelten die bekannten Grundsätze für Auslandseinsätze in Krisenfällen. Viele Unternehmen haben einen Notfallplan, der nicht nur bei Naturkatastrophen und in einer Pandemie, sondern auch bei politischen Unruhen eingreift. Aber auch dort, wo es keine konkreten Handlungsregeln gibt, ist der (deutsche) Arbeitgeber aufgrund seiner bestehenden Treue- und Fürsorgepflichten für entsandte Arbeitnehmer dazu verpflichtet, alles dafür zu tun, dass der Arbeitnehmer und ggfls. auch seine Angehörigen keine Schäden an Leib und Leben sowie anderen Rechtsgütern erleiden. Hierzu zählt insbesondere auch die Verpflichtung Mitarbeiter auf deren Wunsch nach Deutschland zurückzuholen.
Auch wenn in Russland derzeit selbst keine Kriegshandlungen drohen, wird man angesichts der Begleitumstände der Embargomaßnahmen davon ausgehen müssen, dass im Zweifel eine Rückrufverpflichtung besteht. Mindestens aber müssen die Mitarbeiter vor Ort Unterstützung in allen praktischen Alltagsfragen erhalten.
Das ist derzeit aber oft leichter gesagt als getan. Schon die einfache Rückreise (ohne Umzug) gestaltet sich aufgrund der Einstellung insbesondere des Flugverkehrs zwischen Russland und Westeuropa alles andere als einfach. In der Praxis wird man Mitarbeitern dort, wo keine anderen Reisemöglichkeiten bestehen, auch eine Rückreise über Drittländer ermöglichen müssen, auch wenn die Kosten hierfür deutlich höher sind als die früheren Direktverbindungen. Zurzeit gibt es nur wenige Transitflugverbindungen, z.B. über die VAE oder Katar.
Möchte der Mitarbeiter in Russland bleiben und liegt dies – wie so oft zur Sicherung der eigenen Geschäftsinteressen und sei es nur zu einer geordneten Abwicklung – auch im Interesse des Unternehmens, ergeben sich sogar erhöhte Sorgfaltspflichten. Zwar sind noch keine Repressionen gegen ausländische Repräsentanten der Embargonationen bekannt geworden, allerdings muss die Lage ständig beobachtet werden. Notfalls ist schnell zu reagieren.
Insbesondere ist aber zu klären, wie dem Mitarbeiter die nötigen Finanzmittel ohne Verletzung der Sanktionsvorschriften zur Verfügung gestellt werden können. Zu klären ist auch, ob ein vereinbarter Versicherungsschutz z.B. in der Krankenversicherung fortbesteht oder ob das Versicherungsunternehmen wegen der Sanktionen forthin den Deckungsschutz verweigert.
Auch das sonst selten relevante Thema des Kaufkraftverlustes kann vor dem Hintergrund des rasanten Wertverlustes des Rubels eine neue Bedeutung erlangen.
Aus Sicht der betreuenden Personalabteilung ist viel Fingerspitzengefühl und ein Gespür für praktische Lösungen erforderlich, um die für Unternehmen und Mitarbeiter schwierige Lage zu beherrschen.
II. Lokalkräfte
Lokale Angestellte (gleich welcher Nationalität) dürften von Embargomaßnahmen, insbesondere Betriebsschließungen in besonderem Maß betroffen sein. Vielfach wird eine Fortführung der Beschäftigung etwa aus einem Home-Office oder mittels Beschäftigung bei einem russischen Dienstleister nicht in Betracht kommen. Folge sind dann Kündigungen nach russischem Recht, die rechtswirksam umgesetzt werden müssen. Fehler können hier teuer werden, wenn z.B. in Schnellverfahren Ansprüche von Arbeitnehmern durch die Beschlagnehme in Russland gelegener Rechtsgüter und Finanzmittel des Unternehmens durchgesetzt werden.
Dabei wird die Finanzierung z.B. von Vergütungsansprüchen während der Kündigungsfrist oder auch von Abfindungen eine besondere Herausforderung darstellen, wenn ein Finanztransfer aus Deutschland unter die Embargovorschriften fällt. Besondere Vorsicht ist insoweit auch bei Transaktionen über Drittstaaten geboten, die empfindliche Sanktionen in der EU oder den USA auslösen können.
Im Einzelfall wird auch zu prüfen sein, ob eine Weiterbeschäftigung in Deutschland möglich ist. In Zeiten des Fachkräftemangels liegt der Gedanke nicht fern, nicht nur ukrainische Kriegsflüchtlinge, sondern auch besonders qualifizierte russische Mitarbeiter in Deutschland zu beschäftigen. Neben den üblichen ausländerrechtlichen Hürden sind hierbei aktuell auch die restriktiven Visavorschriften sowohl Russlands als auch die sanktionsbezogenen Reisebeschränkungen zu beachten.
III. Auswirkungen in Deutschland
1. Kündigungen/Kurzarbeit
Unternehmen in Deutschland, die zu einem erheblichen Teil im Russlandgeschäft tätig sind, haben naturgemäß auch mit erheblichen Auswirkungen der Sanktionspolitik zu rechnen. Dies gilt insbesondere für den Export nach Russland, aber auch für den Import einschließlich der Unterbrechung von lebensnotwendigen Lieferketten.
Vor diesem Hintergrund kann es schnell zu einem erheblichen Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten kommen. Bei der sich dann stellenden Frage (betriebsbedingte) Kündigung oder Kurzarbeit wird der aus der Corona-Pandemie bekannte Zeithorizont herangezogen werden müssen. Es stellt sich mithin die Frage, ob die wirtschaftlichen Probleme im Russland-Geschäft vorübergehender Natur sind oder eher länger anhalten werden.
Zwar besitzt niemand eine Glaskugel und kann die Entwicklungen sicher vorhersagen, jedoch erscheint es nicht weit hergeholt dem Exportgeschäft nach Russland auch langfristig eine schwere Zukunft vorherzusagen. Auf der anderen Seite spricht die Handhabung der Kurzarbeitsregelungen durch die Bundesagentur in der Pandemie dafür, nichts zu überstürzen. Dies gilt ohnehin im Importgeschäft, da dort eher wahrscheinlich ist, dass durch neue Lieferbezíehungen in andere Regionen eine Kompensation der Ausfälle bewirkt werden kann.
2. Anweisungen/Monitoring
Die Komplexität und die sich ständig ändernden Bestimmungen auf allen staatlichen Ebenen stellen Unternehmen vor besondere Herausforderungen. Unternehmen agieren nicht von allein und auch nicht durch ihre Organe, sondern sind auf informierte Mitarbeiter aller Ebenen angewiesen. Alle auch nur potentiell mit Sanktionsmaßnahmen in ihrer täglichen Arbeit in Kontakt kommende Mitarbeiter müssen sich in der aktuellen Situation jederzeit (unter Umständen mehrmals täglich) mit den aktuell gültigen Vorschriften befassen und diese im Detail beachten, um Sanktionen gegen das Unternehmen wegen eines Embargo-Verstoßes zu vermeiden. Dies ist in der Praxis eine enorme Herausforderung und kann im Regelfall nur mithilfe externer Beratung bewältigt werden.
3. Meinungsfreiheit vs. Betriebsfrieden
Jüngst zunächst aus der Kulturbranche bekannt gewordene Vorfälle haben die Frage aufgeworfen, inwieweit von Mitarbeitern nicht nur eine Befolgung der Sanktionsvorgaben, sondern auch deren moralische Unterstützung verlangt werden kann.
Kündigungen von Mitarbeitern, die sich offen auf die Seite Russlands stellen oder aber trotz Aufforderung nicht von dem Angriffskrieg bzw. dem russischen Präsidenten distanzieren, begegnen erheblichen Bedenken. Schließlich gilt in Deutschland der Grundsatz, dass auch Arbeitnehmer Meinungsfreiheit genießen, sofern sich keine Auswirkungen auf die Arbeitsleistung ergeben.
Von extremen Ausnahmefällen abgesehen wird eine Trennung ohne Einigung nur dann in Betracht kommen, wenn der Betriebsfrieden durch den Mitarbeiter erheblich gestört wird und er trotz Abmahnung nicht zu einer Deeskalation bereit ist oder wenn es ein ernstliches Bestreben in der Belegschaft zur Entfernung des Mitarbeiters gibt.
Dabei dürfte die bloße Tatsache, dass sich ein Mitarbeiter nicht von Russland und dessen Präsident explizit distanziert, nie hinreichen. Dies gilt unter Diskriminierungsgesichtspunkten erst recht dann, wenn es sich bei dem Mitarbeiter um einen russischen Staatsbürger handelt.
Auch hier gelten allerdings die bekannten Grundsätze, dass sich der Arbeitgeber erst einmal für den Mitarbeiter einsetzen muss und z.B. eine Massenkündigung in der Belegschaft drohen muss.
Ohne diese Voraussetzungen kann eine Kündigung nicht erfolgreich durchgesetzt werden.
4. Sicherheitsrelevante Bereiche
Bislang nicht publik geworden sind Kündigungen von Beschäftigten mit engen Beziehungen nach Russland, die in sicherheitsrelevanten Bereichen beschäftigt sind (z.B. Verteidigung, Energieversorgung, Kommunikationstechnik usw.).
Die Hürden für ein präventives Beschäftigungsverbot sind hoch, andererseits ist es in der gegenwärtigen Phase sicher nicht falsch, u.U. auch andere Maßstäbe anzulegen als in permanenten Friedenszeiten. Es ist jedenfalls nicht falsch, in diesen Branchen aktuell gesteigerten Wert auf Geheimhaltungsmaßnahmen zu legen und nach dem bewährten „need to know“ Prinzip zu verfahren. Dabei ist hervorzuheben, dass es nicht nur um politisch persönlich unzuverlässige Mitarbeiter geht, viel häufiger liegt aufgrund von Familienmitgliedern und Freunden in der Heimat eine gewisse Erpressbarkeit vor. Dies darf allerdings nicht zu einem Generalverdacht aufgrund Staatsangehörigkeit führen, vielmehr ist die Gefahrenlage unabhängig von der Nationalität der Mitarbeiter zu beurteilen.
IV.Fazit
Die in vielfacher Hinsicht für Unternehmen und Mitarbeiter vollkommen neue Situation erfordert von allen Beteiligten höchste Aufmerksamkeit. Neben fundierten und stets aktuellen Rechtskenntnissen sind auch Praxisbezug und Pragmatismus gefragt.
Das Arbeitsrecht ist von der Krise ebenso betroffen wie andere Rechtsgebiete. In unserem nächsten Coffee@Emplawyers am 30.03.2022 werden wir uns unter anderem auch mit den Möglichkeiten der Beschäftigung ukrainischer Flüchtlinge beschäftigen.